Lauf Katinka

Volksschauspiel von Ekkehard Schönwiese
ID# 520-04
Verlag Autor
Akte 3
Dekorationen 1
Männer 10
Frauen 10
Kinder
Personen 20
Näheres: www.karnische-museen.at/kosaken/index.htm
Zur Entstehung des Kosakenstücks
"Lauf Katinka" ist ein Volksschauspiel in doppelter Hinsicht: Es kam sowohl die erste Anregung zur Befassung mit dem Kosaken-Thema aus der örtlichen Bevölkerung und die Interpreten sind Osttiroler Laienschauspieler. Ermutigt dazu und umgesetzt hat das Projekt Ekkehard Schönwiese als Autor und Regisseur.
"Seit meiner Jugendzeit wurde ich immer wieder mit dem Schicksal der Kosaken konfrontiert. Ich lernte in der Peggetz (ehemaliges Kosaken-Lager) überlebende kennen und setzte mir zum Ziel, mehr über die Ereignisse nach Kriegsende 1945 zu erfahren", schildert die Hauptinitiatorin Roswitha Selinger. Sie sammelte einige Leute um sich, "die gut mit anderen reden können", besorgte ein Aufnahmegerät und führte mit über 30 Zeitzeugen Interviews. Mehr als 24 Stunden Text kamen auf diese Weise zustande. "Es war nicht einfach, Zeugen der damaligen Zeit zu finden, die bereit waren, über ihre Erlebnisse zu berichten. Herausgekommen sind viele kleine Geschichten über Ereignisse zwischen Mai und Juni 1945, die bislang in keinem Geschichtsbuch niedergeschrieben wurden", erzählt Obmann Wolfgang Michor. "Wir stießen bei vielen Befragten zunächst auf Ablehnung und Schweigen. Aber als sie zu reden begannen, brachen manche in Tränen aus, andere konnten nach Jahrzehnten noch immer nicht über das Erlebte sprechen", ergänzt Selinger. Aus diesem Stoff und ergänzendem Studium diverser Geschichtsliteratur schrieb Schönwiese den Rohentwurf zur Kosakentragödie. Auf einen Aufruf der Theaterwerkstatt Dölsach meldeten sich erstaunlicherweise 23 Darsteller, unter ihnen Frauen und Kinder. Schönwiese baute sie alle in sein Rahmenkonzept ein, schrieb für jeden von ihnen eine Rolle und erarbeitete mit dem Ensemble gemeinsam in 30 Proben das Stück. Seine Uraufführung im Herbst des Vorjahres begeisterte das Publikum. Zehn Vorstellungen waren ausverkauft, viele erhielten keine Eintrittskarten mehr, die Kritik sprach von einer Glanzleistung der Tiroler Volksbühne.
Theaterprofi Schönwiese setzte alle klassischen Mittel der Bühnenkunst ein. So gibt es im Stück den Sprechchorus, musikalische Untermalung und choreographische Elemente. Eine Erzählerin lässt den historischen Fortlauf der Ereignisse einfließen. Der Autor wertet nicht im Sinn von Schuld und Gerechtigkeit. Die Zahlen, Daten, Fakten der Geschichtsschreibung werden in menschliche Begegnungen, Nöte und Gefühle, in konkrete Einzelschicksale umgesetzt. Sogar die Pferde reden - träumen von der Freiheit in den südrussischen Steppen und klagen über den Verlust von Heimat. "Lauf Katinka"
beschreibt den Leidensweg der Kosaken, die am Ende des Zweiten Weltkrieges über den Plöckenpass ins Oberdrautal und nach Osttirol gekommen sind (Erster Akt), sich hier eine neue Heimat erhofften (Zweiter Akt), aber nach dem Abkommen von Jalta unter dramatischen Umständen nach Sibirien "repatriiert" wurden (Dritter Akt). Das Stück zeichnet nach autobiographischen Berichten und Dokumentationen nicht nur das Leben und die vergeblichen Hoffnungen der Kosaken nach, sondern beschreibt in einem vielschichtigen Handlungsgeflecht u. a. Begegnungen von Einheimischen mit den englischen Besatzern. Eine ungewöhnliche Ebene des Spieles stellt die Geschichte aus der Sicht der Pferde dar. "Katinka" und "Karabak" denken dabei zwischen Herdentrieb und Anarchie über mögliche Auswege aus der Verzweiflung nach. Der Stücktitel ist nach jener Kosakenstute benannt, die als Kriegsbeute der Briten bei Point to Point-Rennen justament in jenen Tagen als Siegerin gefeiert wurde, als ihr Herr, ein hoher Kosakenoffizier, in Moskau erhängt worden war.
Nach der Initiative "Lauf Katinka"
kam es zu einem wissenschaftlichen Ausstellungsprojekt zu dem Thema
zur Vertiefung des Stoffes setzte die Theaterwerkstatt Dölsach mit einer Lesung nach, die wie folgt nachzulesen ist:
Lesung, Tammerburg 24. Juni 2005
Es lesen mit: Erna Inwinkl, Marlene Michor, Johanna Pidner, Herbert Tschapeller; Lukas Zolger, Franz Fasching, Robert Possenig, Ernst Strteit, Ekkehard Schönwiese
Franz: Drei Jahre lang hat sich die Theaterwerkstatt Dölsach um die Jahrtausendwende mit dem letzten Kapitel des Zweiten Weltkrieges in Osttirol, mit dem Schicksal von Kosakenverbänden im Dienst der Deutschen Wehrmacht, auseinander gesetzt.. Das Volksschauspiel „Lauf, Katinka“ bedeutete dann in den Jahren 2001/2 das Weitergeben der Erlebnisse und Erkenntnisse in komödiantischer Form.
Possenig: „Katinka“, so wird berichtet, hieß das Pferd eines Kosakengenerals. Die Stute blieb in den Händen der Briten zurück, während ihr Herr den Sowjets ausgeliefert worden war. Die Captains der 15/5 errangen mit Katinka bei Pferderennen zwischen der 46. und 78. Division die glänzendsten Siege. In Höchstform war Katinka zu genau dem Zeitpunkt, als ihr Herr und Meister in Moskau zum Tod verurteilt wurde. Es ist fast so etwas wie russische Volkspoesietradition, Pferde sprechen zu lassen. Tolstoi hat dieses Ausdrucksmittel in seinem Roman „Leinwandmesser“ verwendet und der junge Poet Nikolai Sabolozki machte seinem Ärger über Stalins Bauernterror aus dem Munde eines Pferdes Luft:
Lukas: Ihr Menschen! Ihr irrt euch, wenn ihr glaubt, ich könnte nicht denken, wenn ihr mit einem Stock auf mich einschlagt, nachdem ihr mir ein Geschirr um den Hals gelegt habt. Ein Bauer schlingt seine Beine um mich, versetzt mir einen fürchterlichen Hieb mit der Peitsche , und ich beginne zu galoppieren, ungelenk, während mein hungriger Mund nach Luft schnappt. Überall um mich her erstirbt die Natur, die Welt ist erschüttert, erschöpft, die Blumen gehen ein, sie weinen, hinweggefegt durch trampelnde Hufe.
Possenig: Ganz in dem Sinn beginnt das Volksschauspiel „Lauf Katinka“ als Kommentar zur traurigen Lage des Lebens unter der Peitsche der Diktatur aus Pferdesmund:
Erna: Erinnert ihr euch? Ohne Sattel, Peitsche und Sporen. In der Steppe. In der russischen Steppe? Da reiben sich Rücken an Rücken. Da fliegen Mähnen hoch auf. Und die Erde donnert unter den Hufen. Und nach der wilden Jagd?
Marlene: Ruhe, Friede. Die einen, Huf vor Huf gesetzt, entspannt, den Kopf zu Boden gesenkt, wie um an Blumen zu riechen. Andere liegen im Gras, träumen sich in die Weite. Ihre Schweife pendeln, als dirigierten sie ein Konzert. Sie lassen die Seelen baumeln im Wind. –
Ernst: Krächzt da aber ein Rabe, stellen die Lauscher sich auf, und schon ist die Herde wieder dahin. Da reiben sich Rücken an Rücken. Da fliegen Mähnen hoch auf. Und es donnert die Erde unter den Hufen. Man fühlt sich eingebettet und überlässt sich dem Schicksal. Das Heimelige ist das Zuckerbrot. Und dann kommt die Peitsche! Mit der wird alles ausgejagt, was nicht seinen Willen aufgibt.
Johanna: Ein theatralisches Unterfangen hat es einfacher als eine Ausstellung, denn es braucht sich nicht den Anschein einer exakten Rekonstruktion zu geben. Es darf poetisch sein. Es darf träumen, philosophieren und sich auch hin und wieder von den Quellen trennen, Unlängst war eine Zeitzeugin des Zweiten Weltkrieges aus Nussdorf Debant im Büro des Theater Verband Tirol zu Besuch. Da spielte sich folgende Szene ab.
Erna: Grüß enk Gott, a wohl, ha, ob ös das Stückl noch habts, was wir spielen wöllen.
Herbert: Ja, was denn für a Stückl.
Erna: Ja, früher, da haben wir allm die alten Sachen gspielt.
Herbert: Da war aber auch die alte Zeit.
Erna: Na, da waren wir jung.
Herbert: Na, wie alt seid s ös denn?
Erna: 81.
Herbert: Und immer noch Spielleiterin?
Erna: Ja, freilich.
Herbert: Respekt, Respekt. Und was wär jetzt gfragt.
Erna: Kennts ös das Stückl. „D´ Godl von Amerika“?
Herbert: Ja, schon, so ein Durchhaltestück aus dem Zweiten Weltkrieg mit dem Traum vom Großen Glück, wo schon alles zerbrochen war.
Erna : Na, na. Da tun Sie sich net täuschen! Wir haben uns nie unterkriegen lassen. Das Stückl, das haben wir 1942 gespielt.
Herbert: Das kann ich net so recht glauben.
Erna: Ja, wieso denn epper net? Ha?
Herbert: 1942?
Erna: Ja!
Herbert: Da hat man meines Wissens nur in Fulpmes Theater spielen dürfen, weil dort die große Tradition der Exl- Bühne weiter hoch gehalten worden ist und Propagandafilme gedreht worden sind. So richtig Blut und bodenmäßig. Das war da wie so ein Ausstellungsstück des lebendigen Volkstheaters, wie die Musik in Theresienstadt. Das hat man hergezeigt zur Propaganda.
Erna: Da haben Sie aber schon gar keine Ahnung. Was für ein Jahrgang sand denn Sie eigentlich.
Herbert: 1944 Aus der Generation der letzten Hoffnung des Dritten Reiches sozusagen. Da haben deutsche Mütter und Väter noch an den Endsieg geglaubt. Pervers. Genau so verbohrt und ohne Gewissen wie die, die heut Menschen im Widerstand zu Kameradenmördern stempeln. Heut sind wir bald wieder so weit mit der Gleichschaltung, dass alles über einen Kampl geschert wird.
Erna: Was manchen S´ denn da?
Herbert: Einen Kampl halt ich mir unter die Nase zum Hitlerbart.
Erna: Keine Ahnung habts ihr Jungen, wie das damals war!
Herbert: Kennen S´die Gschicht vom Karl Valentin? Der ist mit einem Hitlerbild auf die Bühne gekommen und hat die Zuschauer gefragt: „Sollen wir ´n aufhängen? Oder an die Wand nageln?“
Erna: Damals hatr man noch einen Wirtz verstanden.
Herbert: Ihr habt in Nussdorf Debant also 1942 tatsächlich „D´ Godl aus Amerkia gspielt“
Erna: Ja, sicher.
Herbert: Ja, und wo bitte habts ihr die ganze männliche Besetzung hergnommen? Habts enk die Theaterkameraden vom Vorposten aus Moskau einfliegen lassen oder gar aus Stalingrad?
Erna: Ja, ja, so spöttisch red´t aber auch nur einer, der alles heruntermacht und der keine Ahnung hat! Da muß man erst einmal was mitgemacht haben, bevor man mitreden kann! Bürscherl. Denn du hast ja auch gar keine Ahnung vom Volkstheater.
Herbert: I tät sagen, vom Theater wissert ich schon was, aber mit dem Volk kenn ich mich freilich oft nicht recht aus, vor allem wo hört das Volk auf, wo fangt die Masse an. Da tu ich mir hart. Da geht ´s mir wie dem Peter Rossegger. Der hat einmal gsagt. „Ja. Ja, das Volk wär ja guat, aber die Leut!“
Erna: Ich laß mich net pflanzen, das sag i dir. Ös Jungen, ös habts ja alles, und da habts ihr das Maul so weit offen. In dera Zeit aber, die meine Zeit war. Das war a andere Zeit. Da hat´s noch Gemeinschaft gegeben. Da is zusammen geholfen worden. Heut kriegt man alles, was man will. Heut tut ein jeder, was er will. Da braucht ´s keine Fantasie. Damals, da hat ´s Fantasie braucht!
Herbert: Denk ich mir schon .
Erna: Ach, was ös denken! Eine Schneid habts ös a koane, ös jungen Leut.
Herbert: Hö, hö. Ich bin sechzig Jahr alt!
Erna: Womöglich in Pension a schon! Bequem machts ihr enk das Leben.- Wird irgendwo Theater gmacht, da wird a Subventionsantag gstellt und alles lauft da bezahlt. Wo ist da die Begeisterung, und die Leidenschaft und die Red, die´s braucht, dass man glaubt, was man sagt.
Herbert: Ein Mann ein Wort. Eine Frau ein Wörterbuch, was?
Erna: 1942 haben wir alle Männerrollen mit Frauen besetzt! Wir sind an der Heimatfront nachgerückt!
Herbert: Interessant.
Erna: Das brauchst d´ jetzt aber net nieder schreiben. Das braucht niemand wissen. Streng geheim.
Herbert: Was ist streng geheim.
Erna: Ich lass mich auf nichts festnageln. Und wann ´s drauf ankommt. Ich war nicht dabei.
Herbert: Wobei?
Erna: Na, na, sein tut ´s ja so. Wir haben ja nichts gehabt zum Spielen, ausser die Begeisterung....
Herbert: Und das Parteibuch.
Erna: Wer hat das nicht gehabt! Also, von den Kulissen bis zur Windmaschin, von den Kostümen bis zu der Schminke. Das Zuig haben wir alles von der Kolpingbühne organisiert.
Herbert: Gestohlen.
Erna: Organisieren hat das geheissen. Oder Requirieren. Is ja nur so herumgestanden das Zeug. Hat ja niemand braucht! Freilich, das waren ja Katholische. Das war schon verboten. Hätt´s denn so herumliegen sollen und vergammeln? Wir haben aus alles etwas gemacht. Wir haben ihnen das Spielen nicht verboten. Na, wir net. Wir wollten nur spielen und nichts anderes. Und dort ist die Sach herumgelegen.
Herbert: „D´ Godl aus Amerika“, so harmlos und doch so brauchbar für die Nazis!
Erna: A Nazistückl is das überhaupt keines gwesen und drum wollen wir´s wieder aufführen.
Herbert: Und ös glaubt´s, dass wir den alten Schinken noch im Archiv haben.
Erna: Haben wir jetzt a Theatertradition oder koane? Wofür zahlen wir denn Jahr für Jahr, wann ihr uns nicht geben könnts, was wir wollen?
Herbert: Wir haben es ja. Ich will ja nur darauf hinweisen, dass es heute angebracht wäre, die ideologische Brauchbarkeit solcher alten Stücke zu bedenken.
Erna: Und was heissert das jetzt.
Herbert: Dass man die alten Sachen der Zeit anpassen soll.
Erna: Das wird gspielt, wie ´s is! Das ist ein Klassiker! Ich weiß schon, was Sie wollen. Alles verändern, alles herummurksen, bis kein Stein mehr auf dem andern bleibt. Ich weiß schon, was ös da trieben habts.
Herbert: Ja, was denn? Wo denn. Wie denn?
Erna: „Lauf Katinka.“
Herbert: A haben S´ das Kosakenstückl gsehen vor a paar Jahr in Dölsach.
Erna: Ja, gsechen schon, wohl.
Herbert: Aber?
Erna: Aber gfallen hat´s mir net.
Herbert: Haben sie schlecht gspielt?
Erna: Na, gut gspielt.
Herbert: War das Stückl schlecht.
Erna: Das trau ich mich nicht sagen. Aber das, das muß ich sagen. So wie Sie ´s da zoagt haben das Ganze, so war ´s net.
Herbert: I hab das gschrieben .
Erna: Jetzt is mir alles klar.
Herbert: Was?
Erna: Wie wollts ös über was schreiben, was ös net kennts?
Herbert: Wir haben halt alles Mögliche an Informationen zusammengetragen und dann kontrapunktisch zusammen gesetzt.
Erna: Was habts ös?
Herbert: Die Sache von verschiedenen Seiten haben wir beleuchtet.
Erna: Ihr habts ja keine Ahnung. Ich war dabei! Ich hab´ gesehen, wie sie die Kosaken verladen haben. Ich hab gesehen, wie sie die armen Leut mit Gewehrkolben geschlagen und dann brutal verladen haben. Wehrlose Leut. Alles haben sie liegen lassen müssen. Kaum waren sie weg. Was ist dann gewesen? Ha? Drüben von der anderen Drauseiten sind sie über die Brücken kommen und haben sich vergriffen an dem Eigentum. Die sündteuren Teppiche haben sie gestohlen! So was von pietätslos, das muss man sich einmal vorstellen! Und alles weggeplündert über die Brücke. Da war das Wasser noch rot vom Blut, weil sich so viele umgebracht haben. Und nachher, wo sie die Brücken überhaupt abgetragen haben? Kannst dir denken, warum.
Herbert: Warum?
Erna: Spuren verwischen! Damit niemand auf die Idee kommt über der Drau drüben nachzuforschen, wo die Sachen alle hin gekommen sind von die armen Leut, die der Stalin alle verrecken hat lassen. Alles hat man dem Hitler hinaufdividiert! Aber das haben sie dann schon kapiert, dass sie das falsche Schwein geschlachtet haben. Das sag net ich, das hat der Chirchill gsagt, sagt man.

Possenig: Der Zeitpunkt der Ausstellung auf der Tammerburg, hat das Kriegsende vor genau 60 Jahren zum Anlass für die Rückerinnerung genommen. Man plant Ausstellungen zu Jubiläen, man denkt an Schiller im Schillerjahr, an Andreas Hofer im Andreas Hoferjahr. Es braucht Anlässe gleichsam als Entschuldigung dafür, dass wir nachdenken. Es braucht Anlässe, sonst lässt sich kein Geld für kulturelle Veranstaltungen locker machen. In der Volkskultur ist das manchmal anders. Da wird vor allem Zeitgeschichtliches aus organischen Gründen, und nicht weil ein Hunderter oder ein Fünfziger voll ist, aufgegriffen. „Die Tragödie an der Drau“ am Ende des Zweiten Weltkrieges hat die Theaterwerkstatt Dölsach ohne Anlass aufgegriffen. Es war ganz einfach die Zeit dazu reif.
Franz: Von den 50erjahren an bis 2002 trafen sich Überlebende der Tragödie alljährlich am Kosakenfriedhof in Peggetz. Sie kamen, suchten Halt in der Gemeinschaft, fanden Trost in Trauerfeiern. Die da kamen, waren Gezeichnete, Menschen, die der Lauf der Geschichte überrollt hat, zu spät Geborene, die mit Gedanken und Gefühlen noch im russischen Zarenreich lebten.
Ernst: Die Geschichte mit den Osttiroler Kosaken hat man zuerst in Romanen und Dokumentationen behandelt. Man hat Filme darüber gemacht. Und am Ende hat es auch ein Gerichtsverfahren, das den Briten Mitschuld und Mitverantwortung an der Verschleppung angelastet hat. Ein Nachkomme des berühmten russischen Dichters Tolstoi ist als Anwalt gegen die Kriegslobby aufgetreten und hat dabei sein Vermögen verloren. Kriegsparteien haben anscheinend auch heute noch immer das Recht auf ihrer Seite.
Ekkehard: Wenn die Zeit kommt, in der Erinnerungen in Geschichte überzugehen pflegen, ergibt sich an dieser Schnittstelle die Herausforderung einer Öffnung. Aus dem geistlichen Ritual einer geschlossenen Trauergemeinschaft wird ein kulturelles Ereignis. Es wird da etwas aufgehoben, wie ein Stein aufgehoben wird. Und da stellt sich heraus, dass der gar nicht so schwer ist, wie man gedacht hat. Diejenigen, die die Geschichte damals als zwanzigjährige miterlebt haben, sind heute 80. Sie denken ans Übergeben. Das Vergangene beginnt sich zu verklären. Es tritt aus der Alltagsrealität heraus und bekommt die Konturen einer kulturellen Wirklichkeit. Als solche kann sie für die Zukunft aufgehoben werden.
Johanna: Schwerter, Sättel, Steine werden ausgestellt und bekommen Bedeutung. Der Dolch, die Münze, die Brosche, der Eintopfkessel, der längst zum Blumentopf wurde, alle diese Fundgegenstände sind keine liegen gebliebenen Reste mehr. Es erhebt sich auch nicht mehr die Frage nach dem Eigentum. Die Reste setzen sich wieder zusammen und bekommen ihren Ehrenplatz im monumentalen Ausstellungsgebäude des kollektiven Gedächtnisses. Mit dem Wasser, das einen kostbaren Fund frei spült, ist es ja nicht getan. Man muß die Bruchstücke zusammensetzen. Und da gibt es unter den vielen Scherben immer wieder Leerräume, die durch Fantasie zu einem Ganzen ersetzt werden müssen.
Franz: Die Theaterwerkstatt Dölsach hat sich mit ihrem Theater-projekt „Lauf Katinka“ einige Freiheiten genommen. Sie hat den Auftrag einer Chronik übernommen. Deren Wesen besteht darin, Wesentliches weiter zu erzählen und sowohl Idealisierendes als auch Verdammendes zu verwerfen. Wir glaubten überflüssige Details weglassen zu können, um das Wesentliche darzustellen. Wir wollten aber auch grundsätzlichen Irrtümern entgegentreten.
Herbert: Erstens: Die Osttiroler Kosaken waren lediglich im militärischen Sinn eine Einheit und im übrigen ein Haufen, den der bolschewistische Vorkriegsterror zusammen getrieben hatte. Als Geschichte vom guten, armen, treuen, braven und doch um so wehrhafteren Volk lässt sich das Kosakendrama an der Drau nicht verkaufen.
Robert: Zweitens darf man die Geschichte nicht dazu missbrauchen, um auf die Kriegsmitschuld von Briten hinzuweisen, die gegen humane Konventionen und im Gefolge politischer Abmachungen wehrlose Gefangene ausgeliefert haben. Als könnten solche Verhaltensweisen von Britischen Militärs im Zweiten Weltkrieg nur im mindesten auch nur eine einzige der zahllosen deutsche Barbareien relativieren. Die Anzahl der aus Osttirol in den Osten repatriierten Personen hätte nicht ausgereicht um Viehwagenladungen für den Vernichtungsbetrieb zweier Tage in einem einzigen deutschen KZ zu füllen. Im Welttheater des Grauens war die Osttiroler Kosakentragödie ein Nebensatz im letzten Akt.
Erna: 18 Millionen Todesopfer verursachten die Nationalsozialisten zwischen 1941 und 1945 in der UdSSR.
Lukas: Gegen Kriegsende haben die Zustände in GULags denen in deutschen Konzentrationslagern geglichen.
Johanna: 750.000 Tote waren bei der Belagerung Leningrads zu beklagen.
Marlene: Und nach dem Krieg? Da holte die SMERSH vier Millionen Sowjetbürger in die UDSSR zurück, eineinhalb Millionen zum Zweck des Wiederauffüllens von Arbeitslagern.
Franz: Drittens: Wie wunderbar können Treue, Mut und alle möglichen anderen militärischen Tugenden an Hand der armen Kosakenverbände dargestellt, in Loblieder auf die Deutsche Wehrmacht des dritten Reiches ausarten. Als ob sich darüber auch nur im mindesten relativieren ließe, was ein antisowjetischer Kulak in den Augen der Nazis war. Und wenn auch der deutsche General Helmuth von Pannwitz von Kosakenverbänden zum Ataman gewählt worden war, ist das doch nur als letzter Trugschluss in der größten Verzweiflung geschehen.
Ekkehard: Ja, nun , aber wenn das Erinnern an die Tragödie weder erstens, zweitens, drittens noch zu anderen Zwecken nützlich ist, warum soll sie dann überhaupt wieder ausgegraben werden? Heißt es nicht: Lasst die Toten ruhen? Ja, ruhen sie denn? Oder schreien sie nicht in den Seelen der noch überlebenden Zeitzeugen danach, dass die Opfer am Altar der Geschichte angenommen werden? Zeitzeugentheater ist durch die gegenwärtig überbordende Mode, mit dem Aufarbeiten von Geschichte Effekthascherei zu betreiben, in Verruf gekommen. Da musste zum Kriegsende - Jubliläumsjahr noch einmal jede gefilmte Bombe vom Himmel fallen. Und da hatte Geschichteaufarbeitung selbst etwas Spekulatives, etwas Zerstörungsnostalgisches an sich. Unter dem Vorwand der Abschreckung wird Gewalt abgebildet und diese schürt eher Feuer als dass sie löscht. Abbilden und Dokumentieren allein heißt noch lange nicht „aufarbeiten“. Aber so wie letztlich alles in Verruf kommt, was zur Mode wird, stecken hinter ihr tiefere Bedeutungen und unerlöste Nöte.
Herbert: „Hört auf, diese alten Geschichten wieder auszugraben. Da fangen sie nur zum Stinken an.“ Mit diesen Worten versuchten ängstliche Zuschauer im Brixental vor einigen Jahren zu verhindern, dass im Volksschauspiel „Die drei Teufel“ ein dunkles Kapitel der Zeitgeschichte des Tales „aufgearbeiten“ wird. Das Untersagen wäre auch fast gelungen, wäre nicht der Dompfarrer aus Salzburg von den Verhinderern gerufen worden, um sie zu unterstützen. Er kam, sah und sagte das richtige Wort für alle. Er sagte. Wenn die Geschichte auf die Bühne gezerrt wird, nun gut, da wird es vielleicht stinken, und es wird ein scharfer Geruch in unseren Nasen sein, aber sie wird mit Gewissheit danach ausgestunken haben und uns nach dem Theater nicht mehr mit ihrer Verwesung belästigen, weil sie danach nämlich verwest ist! Sie wird uns danach auch nicht mehr in den Nächten aus Angst aus dem Schlaf reißen.
Franz: Die Projektgruppe der Theaterwerkstatt Dölsach besuchte am Beginn ihrer Arbeit am Thema der Kosaken in Osttirol alle möglichen Zeitzeugen und nahm Gespräche mit ihnen auf, die dann zusammen mit umfassenden Interviews aus den Beständen des Österreichischen Zeitzeugenarchivs in das Verfassen des Volksschauspieles einfloss. So war ein jeder, eine jede vom Beginn an dabei, ganz nach dem Motto des Vereines: „Der Weg ist das Ziel.“
Ekkehard: Wir setzten uns natürlich mit den vielen schriftlichen Quellen auseinander und fanden unseren eigenen Zugang zu dem, was sich „Zeitzeugentheater“ benennen ließe und sich doch einigermaßen von dem unterscheidet, was als „Erinnerungs-theater“ bzw. Generationentheater bezeichnet wird. Im Zeitzeugentheater spielt weder das soziale Moment der Biographiearbeit noch das historische Moment der Alltagsgeschichte die Hauptrolle, sondern die Einfühlung. Bei der Begriffsklärung fiel mir unlängst ein Aufsatz von Bischof Stecher in die Hände, der mir am kürzesten und prägnantesten ( „Täter, Mitläufer, Opfer“ 16 Reden über Österreich (Thaur 1993 herausgegeben von Ferdinand Kaiser) zu erklären scheint, was „Mitleid“ im Zeitzeugentheater bedeuten sollte.
Robert: Die Arbeitsgemeinschaft, die mir die ehrende Einladung zukommen ließ, an diesem Tag die Festrede zu halten, umschließt Menschen verschiedener politischer, religiöser und weltanschaulicher Positionen. Aber sie ist einst aus einem gemeinsamen Erlebnis erwachsen: aus der Erfahrung der Unmenschlichkeit. Durch die Erinnerung der Alten unter uns geistern noch immer die Alpträume. Aber es hat nicht viel Sinn, diese Dinge zu beschwören. Was wir eigentlich herüberretten sollten ins Heute, das ist die Wachsamkeit gegenüber Unmenschlichkeit. Denn diese Phänomene sterben ja leider nicht aus. Es ist mit ihnen wie mit dem Drachen mit den sieben Köpfen im Buche der geheimen Offenbarung, der aus dem wogenden Meer der Geschichte aufsteigt: wenn ein Haupt abgeschlagen wird, wächst es immer wieder nach. Wir sind seit Jahrzehnten Zeugen dieses Schauspiels, das immer neue Inszenierungen erlebt. ... Ich möchte auf jene Viren eingehen, die sich im Blut des Menschengeschlechts aufhalten und dann auf einmal wieder aktiv werden und Geschwüre bilden, wenn man sie nicht rechtzeitig eindämmt und schwächt: die Fähigkeit des Hineindenkens in den anderen (die Empathie). Ich möchte heute drei Formen dieser Viren ansprechen, die den Nährboden für unmenschliches Verhalten bilden: Den Verlust der Empathie, der Fähigkeit des Hineindenkens in den anderen, das Vorurteil und den Fanatismus. Sie gehören irgendwie zusammen wie Stufen einer Krankheit. Der Verlust der Empathie ist ein emotionales Defizit, das Vorurteil ist ein Denkfehler und der Fanatismus ist die dauernde Beurlaubung von Herz und Hausverstand. ... Das Unberührte ist das Gewissenlose. Gemütsarmut ist die erste Bedrohung der Menschlichkeit. Alle Tyrannen der Erde brauchen Menschen mit kaputten Gefühlen... sie sind alle an emotionalen Krüppeln interessiert gewesen. Denn in der Seele des Menschen ist eine Barriere weggeräumt: das Mitleid. .... Darum ist der Verlust des Einfühlungsvermögens der erste ernstzunehmende Virus, der durch die Blutbahn der Gesellschaft kreist.
Franz: Der Gang der Handlung war schnell gefunden. Er ist in der Geschichte schicksalhaft vorgezeichnet gewesen. Durch die Chronologie der Ereignisse, beginnend beim Marsch der Kosaken von Tolmezzo über den Plöckenpass bis nach Lienz. Akt zwei. Das Legerleben. Akt drei, Verrat und Deportation. Das wäre alles ganz leicht nieder zu schreiben gewesen, vor allem mit der so anschaulichen Schilderung des Romans von Josef Mackiewicz als Vorlage.
Ekkehard: Aber da drängten sich noch Fragen auf. Eine dramatische Nacherzählung mit bunten Szenen? Wie haben die Flüchtenden ihr Zerbrechen der Hoffnung erlebt, ins Traumland Kosakia friedlich entlassen zu werden? Welche Angst trieb die Einheimischen? Da ist der Krieg zu Ende und justament in diesem Moment kommt der Krieg zu ihnen! Und was erlebten die Briten, noch voller Angst vor den Wunderwaffen der Alpenfestung und überreizt! Wer wusste schon wirklich, ob nach dem Zusammenbruch der Krieg nicht weiter geht und die Vereinbarungen der Siegermächte über Deutschland in dem Moment der Kapitulation des Dritten Reiches vielleicht nicht halten? Es hätte ja sein können, dass man bald jeden Kosaken im Heer gegen den Bolschewismus gebraucht hätte. Weitere Fragen kamen dazu: Leben die Figuren, die wir da zum Leben erwecken, auf der Höhe der Zeit? Oder leben sie gerade nur von der Hand in den Mund? Was reflektieren sie? Träumen sie sich zurück in glücklichere Zeiten? Träumen sie vor? Was bedeutet ihnen die Gegenwart? Wer bestimmt ihr Denken und Handeln? Sie selbst? Oder werden sie gedacht und gehandelt? Lassen sie sich treiben? Lassen sie es zu, dass über ihre Köpfe hinweg gehandelt und gedacht wird? Haben sie nicht längst schon resigniert und sagen auf gut Österreichisch: „Da kann man halt nix machen“, „Gemma halt a bisserl unter“. Können sie noch rechnen? Oder wird nicht viel mehr mit ihnen gerechnet? Kurzum leben sie noch ihr Leben oder behaupten sie das nur, um die Augen zu schließen vor den drohenden Abgründen der Ungleichzeitigkeiten? Vor den Fußangeln, die sie hindern zu fliehen.
Johanna: In vielen Geschichtsbüchern wird die „Tragödie an der Drau“ als ein besonderes Kapitel angeführt. An diesem kleinen Beispiel zeigt sich die Beispiellosigkeit einer Epoche wie ein Modell. Neben vielen anderen militärischen Einheiten des Ostens kämpfte auch die Kosakenarmee des General Vlasov mit der Deutschen Wehrmacht, um den Teufel des Bolschewismus mit dem Belzebub Nationalsozialismus auszutreiben, nichtsahnend, dass bei dem mörderischen Spiel Teufel und Belzebub in vertauschten Rollen auftraten und sich gegenseitig die Erde als Spielball ihrer Machtlust hin und her warfen. Hitlers Krieg war nicht gegen den Bolschewismus gerichtet. Das hat er zwar so in die Welt trompetet, selbst wohl auch so geglaubt, aber gemeint hat er´s anders. Für ihn waren all diejenigen Völker, die als „Weiße Armeen“ gegen die „Rote Armee“ für ihre Unabhängigkeit kämpfen wollten, keine Menschen.
Ernst: Noch vor der großen Wende des Krieges, noch vor Stalingrad, da kamen hohe Offiziere von der Ostfront, unter anderem Stauffenberg zu ihrem Führer. Sie beschworen ihn und sagten, dass der Krieg nur mit jenen Völkern auf sowjetischem Boden zu gewinnen sei, die bereit sind, mit Deutschland gegen den roten Terror anzutreten. Hitler erklärte, er wolle russisches Land ausschließlich in Deutscher Hand und nach dem Sieg als Protektorate unter Deutscher Verwaltung. Und bald danach zog er sowjetische Widerstandsheere von der Front ab. Er verteilte sie an die Westfront, an die Südfront, nur nicht dorthin, wo sie in ihrer Verbitterung gegen grausame Unterdrückung vorher, um ihre eigene Freiheit kämpfen wollten. Und so begann der Selbstmord der Herrenmenschenarmee, die unterging, mit Mann und Roß und Wagen wie einst die Grande Armee des Napoleon, das in Eis und Kälte der russischen Steppe stecken blieb und erfror. Und da glaubte der Führer des Dritten Reiches immer noch an seine Führungskraft, die er für allmächtig hielt, und man ließ ihm diese Macht, was ja noch viel erstaunlicher ist, weil er so wie auch Stalin verbrecherisch bedenkenlos argumentieren konnte, wie etwa in Mein Kampf nachzulesen ist:
Lukas: Als ich schon sehr früh die Institutionen des Staates kennen lernte, der sich Demokratie schimpft und in Wahrheit nichts anderes ist als die Vorstufe des Marxismus, lernte ich auch die Träger der Institutionen kennen und diejenigen, die sich von ihnen in die Irre führen lassen! Was mir zuallererst und am allermeisten zu denken gab, das war das erstaunliche Fehlen jeder Verantwortlichkeit einer einzelnen Person! Das Parlament fasst irgend einen Beschluss , dessen Folgen auch noch so verheerend sein mögen – niemand trägt die Verantwortung, niemand kann je zur Rechenschaft gezogen werden. Denn heißt dies etwa Verantwortung übernehmen, wenn nach einem Zusammenbruch sondersgleichen die schuldige Regierung zurücktritt? Oder die Koalition sich ändert, ja das Parlament sich auflöst? Kann denn überhaupt eine schwankende Mehrheit von Menschen jemals verantwortlich gemacht werden? Ist denn nicht der Gedanke jeder Verantwortlichkeit an die Person gebunden? Kann man aber praktisch die leitende Person einer Regierung haftbar machen für Handlungen, deren Werden und Durchführen ausschließlich auf das Konto des Wollens und der Geneigtheit einer Vielheit von Menschen zu setzen sind? Wird nicht die Aufgabe des leitenden Staatsmannes in der Kunst gesehen, die Genialität seiner Entwürfe einer Hammelherde von Hohlköpfen verständlich zu machen, um dann deren gütige Zustimmung zu erbetteln? Ist die Unfähigkeit eines Staatsmannes dadurch bewiesen, dass es ihm nicht gelingt, die Mehrheit eines durch mehr oder minder saubere Zufälle zusammengebeulten Haufens für eine bestimmte Idee zu gewinnen? Ja, hat denn dieser Haufe schon einmal eine Idee begriffen, ehe der Erfolg der Verkünder ihrer Größe wurde? Ist nicht jede geniale Tat auf dieser Welt der sichtbarste Protest des Genies gegen die Trägheit der Masse? Glaubt man denn etwa, dass der Fortschritt der Welt etwa Gehirnen von Mehrheiten entstammt und nicht aus den Köpfen einzelner? Die Majorität ist nur nicht immer die Vertreterin der Dummheit, sondern auch der Feigheit. Und so wenig hunderte Hohlköpfe einen Weisen ergeben, so wenig kommt aus zehntausenden Feiglingen und Kröten ein heldenhafter Entschluß?
Robert: Der Menschenverachtung des deutschen Diktators stand diejenige des bolschewistischen in nichts nach.. Die Kosaken vor, im und nach dem Zweiten Weltkrieg waren Opfer von beiden. Ihre Flucht in die Hoffnungslosigkeit führte sie nicht von Tolmezzo nach Osttirol. Sie waren als wehrhafte Bauern in russischen Landen schon seit 1920 auf dem Weg mit ihren Pferden und Panjewagen . Der Zeit nach dem Zusammenbruch der Monarchien, der sogenannten Monarchen von Gottes Gnaden folgte die Zeit der Diktatoren in Ost und West.
Lukas: Da sprach Stalin zu seinen Millionen von Bauern: „Schluß mit dem Krieg. Kehrt nach Hause zurück. Raubt das Geraubte. Stürzt das Feudalsystem. Nehmt den Gutsherren das Land weg!“ Und er richtete sich mit seinem Ruf auch an die Kosaken: Das Land soll denen gehören, die es bewirtschaften und nicht jenen, die Mensch und Natur zur Erhaltung ihrer Macht ausbeuten. Das hört sich gut an und man glaubt die Botschaft gerne. Und sie wird denn auch in den Raum gestellt, damit sie geglaubt wird. Und dass am Ende diejenigen, die glauben, daran glauben müssen. Wer glaubt, wird selig, nein. So ist die Welt nicht. Da sind die Dummen dazu da, dass sie für dumm verkauft werden und die Armen, damit es Reiche gibt, um sie arm zu machen. Und ohnmächtige, um Macht auszuüben.
Franz: Ermuntert zum Umsturz eigneten sich sie Bauern in russischen Landen Land an und begannen sich sogleich als ihre eigenen Herren zu fühlen. Der König ist tot, es lebe der König. Die Gutsherren sind verjagt, jetzt wird selber gejagt.
Ernst: Die Bauern machten die Rechnung ohne den Wirt. Sie machten die Revolution mit und wurden ihre Kinder, die die Revolution bekanntlich frisst. Sie folgten übereifrig dem revolutionären Ruf nach Abschaffung des Privateigentums, um sich Privateigentum anzuschaffen und um dann genau aus diesem Grunde zum Bauernopfer erklärt zu werden.
Marlene: Sie haben es nicht anders sehen können und auch nicht anders sehen wollen, ließen sich verhetzen. Aber nicht ohne Folgen für sie.
Herbert: An diesem Vorgang scheiterte nach dem Ersten Weltkrieg die Konterrevolution gegen den Bolschewismus. Die besitzenden Bauern, Kulaken genannt, erhielten für ihre Illusionen vom freien Bauerntum eine grausame Rechnung aufgetischt. Unter dem Titel der Kollektivierung der Landwirtschaft wurden die ländlichen Gebiete Russlands ausgeplündert und kollektiviert. Mit Deportationen, Konzentrationslagern und Hinrichtungen und der Übergabe von Land, Vieh und Gerät an Kollektivfarmen im Ausmaß von 13 Millionen Haushalten endete das Drama der Revolution in Armut und Despotismus.
Johanna: Entscheidend mit betroffen waren die Kosaken, die sich traditionell als wehrhaften Bauern verstanden. Jakir, ein berüchtigter General der Roten Armee, befahl 1920, die Hälfte der männlichen Donkosaken zu töten und setzte Flammenwerfer und Maschinengewehre gegen Frauen und Kinder ein. Wer überlebte, wurde zum Freiwild für ukrainische Nachbarn erklärt. Im Süden der Sowjetunion entwickelte sich die Liquidierung der Bauern zu einer ethnischen Säuberung. Im Nordkaukasus kam es zu den schlimmsten Gräueltaten. Kosaken wurden lebendig in Kinos verbrannt, tschetschenische Schafhirten und Bienenzüchter zu Banditen erklärt, eine Blutspur, die noch bis heute nicht im Boden versickert ist.
Lukas: Viele, die es sich leisten konnten, wanderten aus, ein Grossteil verschwand in Kolchosen, abgeschottet vom Blick der Welt auf das Drama. Im Jahr 1930 beschrieb eine Terekkosakin einem emigrierten Cousin über ihr Leben:
Erna: Du beklagst dich, dass wir dir nicht geschrieben haben. Wir wären froh, wenn wir schreiben könnten! Wie du weißt, sind wir 1922 deportiert worden. Man hat uns verstreut, zu den Iguscheten, den Tschetschenen, den Osseten, den Georgiern, sodass wir Verwandten uns nicht mehr sehen. Deine Familie wurde 1923 von ihrem Besitz vertrieben und in der Nacht zum 10. Dezember wurden alle außerhalb von Grosny erschossen. Dann wurde euer Hof geplündert, das Haus in die Luft gesprengt, was sich in den Schuppen und im Stall fand, holten sich die Tschetschenen. Die Bewohner unsere Kosakenstation wurden in drei Gruppen eingeteilt: die erste Gruppe sind die „Weißen“, die Männer in der Kategorie wurden erschossen, die Frauen und Kinder verstreut in alle Winde. Die zweite Kategorie sind die „Roten“, sie wurden zwar deportiert, aber man fügte ihnen kein Leid zu. Und die dritte Gruppe sind die Kommunisten. Bei der Ausweisung erhielten die Leute der ersten Gruppe nichts, bei den Roten erhielt jede Familie einen Karren und durfte so viel aufladen, wie sie wollte, während den Kommunisten das Recht eingeräumt wurde, ihren gesamten beweglichen Besitz mitzunehmen. Schicke kein Geld, denn das bekommt die Kolchose…
Franz: Die Kollektivierung in der Sowjetunion, so erklärte Stalin gegenüber Churchill, hat 10 Millionen Menschen das Leben gekostet, ein Holocaust an russischen Bauern, der seinesgleichen nur in Hitlers Judenmord findet. Im Jahr 1931 wurden aus dem hungernden Land mehr als 5 Millionen Tonnen Getreide exportiert, als Bezahlung für Turbinen, Fließbänder und Bergwerksausrüstung. Das Schweigen des Westens, dem die mit dem Blut der Bauern erkauften Exporte aus der Sowjetunion halfen, seine eigene wirtschaftliche Depression zu überwinden, setzte sich fort im Schweigen des Westens über den Aufstieg Hitlers.
Robert: Die Chronik Ende April 1945.
Franz: Das 15. Kosaken-Kavallerie-Korps zieht sich vom Balkan zurück.
Lukas: 25.000 Mann, trotz mancher Verluste steigt ihre Zahl.
Johanna: Verstreute Kosakenformationen u.a. aus Frankreich scharen sich um General Pannwitz.
Herbert: Die Zeit des Glaubens an die Wunderwaffe Hitlers war vorbei. Beim Rückzug mischen sich Formationen aus alten russischen Emigranten, das Russische Korps mit der deutsch-kroatischen Legion, die Einheiten der Ukrainischen National-Armee mit einem Georgischen Bataillon, Nordkaukasische Bataillone mit Serbischen Tschetniks und allesamt mit Mann und Roß und Wagen, Frauen, Alten und Kindern, Tross und Verwundeten.
Ekkehard: In der Flut dieses Chaos zog sich das XV. Kosaken-Korps in relativer Ordnung zurück. Die Heimat dieser Menschen war weit weg. Die Struktur des Hier und Heute war ihr einziger Halt. Noch lebte die Hoffnung von einer antibolschewistischen Front nach dem Ende des Nationalsozialismus. Unter anderen flog ein Parlamentär von Pannwitz mit dem letzten Fieseler Storch zu den Briten mit folgender Botschaft:
Lukas: „Der Kampf gegen die bolschewistische Welt ist nicht beendet, sondern er beginnt jetzt erst. Die Kosaken werden sich in diesem Kampf als unentbehrlich erweisen, selbst wenn sie die Übergangszeit in den Kolonien Afrikas oder in Australien zu verbringen hätten. Es liegt im Interesse Großbritanniens, sie als einheitliche Formation zu übernehmen oder ihnen Asylrecht einzuräumen.“
Robert: Von Pannwitz bekam keine Antwort und verlor seinen letzten Fieseler Storch.
Franz: In Osttirol fallen die letzten Bomben und bis zuletzt wird gerade in Tirol mit großem Nachdruck die Illusion von der Alpenfestung propagandistisch wachgehalten.
Marlene: Szene aus „Lauf Katinka“: Belehrung in einer Fliegerabwehrbatterie:
Ernst: Volksturm, habt acht! Eins, zwei, eins, zwei. Im Ernstfall muß alles sitzen wie im Schlaf. Habt Acht! Mens sana in corpore sano, heißt?
Marlene: Ein gesunder Geist in einem gesunden Körper. Heil!
Ernst: Brust heraus! Was haben wir gelernt? Rekapitulation!
Marlene: Als Mitglieder des Volkssturmes sind wir alle Kinder des Führers! Allzeit bereit. Das Volk ist ein Körper und wir sind seine Glieder. Und in diesem Sinne, im Sinne der Bewegung, im Sinne der Volksgemeinschaft, sind wir des Führers Leibeigentum. Und seiner Stellvertreter!
Ernst: Damit das klar ist. Das Volk braucht Population. Die Stärke des Triebes zum Überleben der Rasse! Ein Körper und eine Seele. So wie der Wald. Was ist der Wald?
Marlene: Der Wald ist eine Lebensgemeinschaft. So wie das Volk eine Lebensgemeinschaft ist. Und der Borkenkäfer ist der Feind der Lebensgemeinschaft, weil er unter die Rinde der Bäume kriecht und die Lebensnerven zersetzt. Und daher sind Cyklon B und Gelbkreuz - Kampfstoffe entwickelt worden.
Ernst: Ist doch ganz einfach die Biologie! Oder? Die NSDAP ist die erste Partei in der Geschichte, die das biologische Denken sozusagen bis zur Vergasung durchzieht! - Und jetzt zum Gebot der Stunde. Das Bollwerk der Alpenfestung muß halten, wenn Berlin auch fällt. Unser Führer zieht sich zurück in die Berge. In riesigen, geheimen, unterirdischen Gängen stehen Wunderwaffen bereit. Wenn der Löwe in die Enge getrieben wird, wächst sein Kampftrotz ins Unermessliche! Aus diesem Geist heroischen Übermutes sind die größten deutschen Kunstwerke geschaffen. Der Ring des Nibelungen! Der Walkürenritt! Furchtbar wird Rache an den Feinden genommen. Gnadenlos wird die Vergeltung sein. Wir glauben fanatisch an den deutschen Sieg. Sieg Heil! Es wird aus allen Rohren geschossen, verstanden? Erst feuern, wenn der Himmel schwarz wird. Wir ballern ihnen einen vor den Latz, daß es Britenblut regnet. Feuer Frei! Auf zur Jagd! Feuer! "Die letzte Kugel hat der Teufel gegossen. Jeder Schuss ein Russ! Jeder Stoß ein Franzos. Feuer!
Robert: 8. Mai 1945 Die 8. Tito-Armee schaltet sich in eine unbeschädigte Telefonleitung ein und verkündet den Truppen der Deutschen Wehrmacht die Kapitulation. Alle hätten die Waffen niederzulegen und alle hätten an Ort und Stelle zu verbleiben. Alle hielten sich daran, nur nicht von Pannwitz. Er gab den Befehl „Alle Divisionen des Korps aufgesessen!“
Johanna: Also rückten um Mitternacht die Kolonnen der 1. Kavallerie-Division in der Dunkelheit nach Westen ab. Die 2. Division schlägt sich in nordwestlicher Richtung durch. Nichts wie weg in die Einflusszone der Briten.
Marlene: Der alte Ataman Domanow sieht, wie seine Kosaken ohne seinen Befehl aufbrechen und beginnt zu sinnieren:
Franz: Die brechen auf ohne Befehl. Das ist der Anfang vom Ende. (bedrohlich abwesend) Wissen Sie, ich habe die allergrößte Sorge, daß ich nicht mehr bei Sinnen bin. Daß ich mir etwas einbilde, was gänzlich gegen die Vernunft ist. Ich will es wahr haben, also ist es wahr, daß der Krieg nicht zu Ende ist. Daß es weiter geht! Freilich wäre das ganz nach meinem Sinn. Daß uns die Briten auffordern, gegen Osten zu marschieren, um uns unsere Heimat zurück zu erobern. Seite an Seite mit den Aliierten. Sie sind unsere Freunde! Wir haben ihnen nichts getan. Wir haben nur gegen die Partisanen gekämpft, Frauen, Kinder und unser armseliges Hab und Gut verteidigt! Oder? Hat uns Hitler für vollwertige Soldaten genommen? Nein! - Wie soll das alles enden? Irgendwann unmerklich schleicht sich der Tod in unsere Glieder. Irgendwann trübt sich der Blick und wir glauben, daß das am Nebel liegt. Wir biegen uns die Wahrheit nach unseren Wünschen zurecht und verlieren den Boden unter den Füßen.
Robert: Und so hieß es: Auf in den Norden, dem Plöckenpaß zu. Also, Pferde eingespannt, Hab und Gut aufgeladen, naja und Kinderwägen geklaut und Schubkarren, alles was Räder hat. Nur die Ärmsten tragen alles am Rücken.
Erna: Voran die Gulaschkanone Am Wegrand rechts und links Begleitschutz. Karabiner im Anschlag, Im Automobil mürriscvh im Fond der Ataman . Der Wagen hat gestreikt. Der Kühler ist eingefroren. Nun sind Pferde vorgespannt. Und hinten nach, von aller Last befreit Katinka. Und so, so stellen wir uns vor den weiteren langen Kosakenzug vor.
Marlene: Auf der Straße Schnee und Eis. Woher, wohin, wozu. Wer weiß. Räder knarren, Kälte klirrt. Und niemand weiß, was weiter wird. Loch im Magen leer der Blick hinauf, hinauf und noch ein Stück.
Johanna: Müde schleppt man sich voran. Gequälter Aufschrei dann und wann. Nebel fällt, man sieht nicht mehr. Da wird die Last gleich doppelt schwer. Unterm Gehen friert der Schweiß. Woher, wohin, wozu, wer weiß.
Robert: 9. Mai 1945: Um 10 Uhr stoßen die Spitzen der 1. Kosaken - Division auf die ersten Feldwachen der britischen Panzerdivision. Pannwitz begibt sich sofort zum englischen Stab. Der gestattet den Kosaken das Überschreiten der britischen Linien.
Erna: Vor britischen Panzern und einer Gruppe von Offizieren marschieren Kosaken-Regimenter in voller Bewaffnung vorbei, die Offiziere an der Spitze, wie bei einer Parade. Pannwitz steht neben den Engländern und ist stolz auf diese Truppenschau, die den Briten plastisch vor Augen führen soll, was für Leute sie in der erwarteten Auseinandersetzung mit den Bolschewisten auf ihrer Seite haben werden.
Johanna: Der Artillerie-Führer der britischen Division, Oberst Hills, blickt auf die vorbeiziehenden Reiter mit einem Anflug von Nachsicht und vielleicht auch aufrichtigen Mitgefühls.“
Lukas: Es hat aber auch ganz andere Schickale gegeben in diesen Tagen. Viele Begegungen waren absurd, so wie das britische Kriegsgefangene Victor Knight. Bei der letzten Offensive des Deutschen Afrikakorps geriet er in Gefangenschaft, kam mit vielen anderen in Viehwaggons ins Lager nach Spital an der Drau. Und da hieß es: Entweder ab in ein Straflager nach Deutschland oder zur Arbeit am Bauernhof in die Steiermark… Zwei Jahre lang hatte er eine gute Zeit. Eines Morgens hörten die britischen Gefangenen die sowjetische Artillerie. Daraufhin entschloss er sich, zu flüchten, wird von SS-Leuten gegriffen, verhört. Im Chaos der Ereignisse konnte er sich einer Bauernfamilie anschließen, stellte sich dann den Amerikanern, die ihn den Russen auslieferten. Im Austausch gegen einen russischen Gefangenen bei den Briten kam er schließlich zurück nach Großbritannien und wurde Besatzungssoldat... in Kärnten.
Franz: 13. Mai Politbericht des Leiters der politischen Verwaltung der 3. Ukrainischen Front über das Zusammentreffen mit britischen Truppen.)
Robert: Am 9. Mai traf sich ein Vortrupp der 84. Schützendivision auf dem Gebet von Obergarden
Herbert: Mit einem Vortrupp des 6. Sonder-Panzerregiments des 5. Korps der verbündeten britischen Armee.
Franz: Am 10 Mai kam es um 17.00 Uhr am Ostrand von Voitsberg zu einem feierlichen Treffen.
Herbert: Seitens der britischen Alliierten kam unter anderem Generalleutnant Keightly mit Generälen und Offizieren in einem leichten Fahrzeug, das mit einer weißen Fahne beflaggt war.
Robert: Beim Treffen wurde die britische Hymne nicht abgespielt, weil unser Orchester diese nicht zu spielen vermochte.
Herbert: Generalleutnant Keightly stieg aus dem Fahrzeug aus und begrüßte als ersten
Robert: Gardegeneralleutnant Genossen Drejer, dem er, so wie der gesamten Roten Armee, im Namen der britischen Armee und Marschall Alexanders zum Sieg gratulierte.
Herbert: Gratuliere Gardegeneralleutnant Genosse Drejer gratulierte seinerseits....
Robert: Gratuliere!
Johanna: Gemeinsam mit den britischen Generälen und Offizieren trafen auch britische KorrespondentINNen ein, die Genossen Drejer um die Erteilung der Erlaubnis baten, die Städte Wien und Graz besuchen zu dürfen, woraufhin von diesem die höfliche Antwort erteilt wurde: „Leider kann ich Ihnen die Erlaubnis nicht erteilen, weil eine Beantwortung derartiger Fragen nicht zu meinen Kompetenzen zählt.“
Franz: Nach Unterzeichnung einer Vereinbarung lud Genosse Drejer zum Mittagessen ein. Vor Betreten des Speisesaales nahm Generalleutnant Keightly seine Waffe ab und legte sie auf den Tisch.
Herbert: Mahrzeit Genosse.
Franz: Generalleutnant Drejer tat ihm gleich, legte seinen Säbel ab und beließ diesen auch auf dem Tisch.
Robert: Mahlzeit.
Erna: 24. Mai Im Dorf Althofen wählten die Kosaken vom 15. Chor General Pannwitz zu ihrem Führer, zu ihrem Ataman. Die Briten sahen dem Schauspiel der Wahl mit Wohlwollen zu. Ein deutscher General als Kosaken – Ataman. Und da redete man bei den Kosaken: „Deutsche und Engländer, wenn sie sich heute auch bekriegen, aber sie sind immer, wie man sagt, westliche Menschen. Eine Vorahnung vom Verrat und von Deportation macht sich dennoch breit. Noch benehmen sich alle im Lager der 25000 Kosaken gesittet und ordentlich. Aber so sind sie eine leichte Beute. Da wird unter der Hand ein Plan entworfen, dem letztlich immerhin hunderte folgten.
Marlene: In „Lauf Katinka“ wird darauf zurück gekommen. Ataman Domanov im Gespräch mit seine Agentin Olga üb er Anarchie als letztes Mittel auf dem Weg in die Freiheit:
Johanna: Reden wir Klartext. Die Briten wissen, was sie uns schuldig sind. Die Freiheit. Sie haben Mitleid. Aber nicht mehr und nicht weniger. Den Rest müssen wir schon selbst in die Hand nehmen. Und da bist du ein Versager, ein rettungsloser, jämmerlicher Versager, Herr Kriegsataman Domanow.
Ernst: Ich habe volles Verständnis dafür, daß du die Fassung verlierst. Immerhin, ja freilich. Ich mein, ich habe ja immer gesagt, wie es ist.
Johana: Es geht ja nicht um mich. Darum geht´s doch schon lang nicht mehr!
Ernst: So nicht, Olga!
Johanna: Ein Schatten deiner Eitelkeit bist du! Ein Gefangener deiner Erwartungen. An Händen und Füßen fesselst du dich selbst mit Illusionen. Und du hast dich geblendet, um die Wahrheit nicht anschauen zu müssen. So bist du dieser Ilina Knasnow verfallen. Und was bist du als Ataman? Ein Wurmfortsatz des alten Krasnows!
Ernst: Die wollen mich am liebsten um Teufel jagen! So ist das.
Johanna: Mach doch endlich einmal die Augen auf. Weißt du, wie es um uns steht?
Ernst: Bitte, klär mich auf.
Johanna: Wenn wir nicht sofort handeln, sind wir erledigt.
Ernst: Und wie?
Johanna: Wir lösen alle sozialen Stuktruren auf. Wir sind als eine geschlossene Gruppe viel zu berechenbar. Wie Lemminge, die willig in den Tod gehen. So werden wir nie ernst genommen. Solidarität hin, Solidarität her. Volksgruppe hin, Volksgruppe her. Hier geht es längst nur mehr um' s nackte Überleben. Also. Jede Nacht verschwinden hunderte der aktiven Truppe in alle Winde. Wir fälschen Papiere. Und in ein paar Tagen gibt es im ganzen Lager nur mehr Altemigranten, Frauen, Pferde, und Kamele, - und niemanden, mit dem sie verhandeln können, weil sich keiner mehr für zuständig erklärt.
Ernst: Das ist ja Anarchie.
Johanna: Na, und?
Ernst: Beim ersten Verdacht kommen sie mit Gewalt und lassen uns fallen.
Johanna: Meinst du, durch Stillhalten und Dulden lässt sich die Deportation verhindern?
Ernst: Man hat dich als Agentin eingeschleust, um mich zu verführen! Rotarmistin! Damit ich mich ins Unrecht setze! Damit ihr einen Grund habt, uns auszuliefern.
Johanna: Nur wenn wir nichts unternehmen, sind wir Opfer. Und zwar alle!
Ernst: Verräterin! Du lieferst uns den Roten aus. Aus Rache. Weil ich dich als Frau verletzt habe.
Johanna: Schnapdsidee! Wie wenig du mich kennst! Daß ihr Monarchisten mit Hitler auf das falsche Pferd gesetzt habt. Deshalb hat Stalin in Jalta die Deportation verlangt.
Ernst: Du hast Nachrichten falsch vermittelt. Schriftstücke unterschlagen, Sabotage verübt. Das ist Verrat. Olga! Du bist entlarvt als rote Agentin! Dich hat die SMERS geschickt!
Johanna: Denk, was du willst. Ab heute geh ich eigene Wege!
Franz: Und als dann die 2000 Offiziere der Kosaken aus dem Lager gelockt worden sind unter dem Vorwand, sie zu einer Konferenz zu holen, herrschte immer noch Ruhe im Lager. Noch wusste niemand, dass es zur Taktik gehörte, diejenigen zuerst zu beseitigen, durch die die Menge nach ihren eigenen Regeln lebte. Sind erst die Köpfe beseitigt, kann man mit der Masse machen, was man will. Freilich, die Stimmung musste wohl merkwürdig gewesen sein, als die Offiziere nicht und nicht zurück kamen ins Lager. Galgenhumor mochte sich verbreitet haben. Jedenfalls so muntert in „Lauf Katinka“ eine couragierte Kosakin ihre Landsleute auf:
Erna: Habt ihr den schon gehört? Was ist ein Mann? Ein Mann ist ein Feigling. Und zwei Mann? Das sind zwei Helden. Und drei Mann? Da ist immer einer zu viel. Was, kann euch denn gar nichts aufmuntern? Ist das die große Depression vor dem Endsieg? Scheißt euch doch nicht in die Hose! Gerüchte hin, Gerüchte her. Kosakia hin, Kosakia her. Ja, was haben wir denn schon alles durchgemacht. Was uns nicht umbringt, macht uns stark. Was haben sie gesagt, daß sie uns nach Kanada verfrachten? Ja, wißt ihr denn nicht, daß es dort kälter ist als in Sibirien? Und lauter gefräßige Grizzlybären rennen da herum. Die haben so komische Augen und verwechseln Kosaken mit Lachsforellen. Und das soll unser Kosakia sein, nein danke. Oder Madagaskar. Da hat der Hitler die Juden hinschicken wollen. Hat halt nicht ganz so geklappt. Und jetzt soll das unser Kosakia sein? Wo einem die Affen Kokosnüsse auf den Kopf hauen. Und wißt ihr, was es da unten für eine Hitze hat? Ja, wir halten das vielleicht aus. Aber die Pferde, die verrecken, ganz sicher. Und wer will denn von euch ohne Pferde leben? Ha? Also, wenn ich mir diese Gulaschkanone anschau, so mit weggekratztem Hakenkreuz. Ich hab das Unterwegssein mit euch immer genossen. Meinetwegen könnte es so weitergehen. Muß ja nicht gerade nach Sibirien sein, nicht wahr. Und wenn einem nicht jeden Tag Tellerminen um die Ohren fliegen, ist so ein Zigeunerleben noch immer besser als diese kleinkarierte Kacke von Sesshaftigkeit. My Home is my Castle. Lieber drei Gartenzwerge als einen Ehemann. Ja, was ist denn das heute für eine Stimmung! (Läutet mit Glocke) Essenausgabe, Essenausgabe! Doppelte Ration! Mit Speck fängt man Mäuse! Das Neueste aus der Gerüchteküche! Nachschlag und Nachspeise! Pudding
Robert: 27. Mai 1945 Bericht des stv. Kommandanten des 25. Grenzregiments über die Durchführung der Operation zur Übernahme von Kriegsgefangenen der Vlasov-Armee vom Kommando der 8. britischen Armee in Judenburg
Lukas: Im Morgengrauen Fahrzeuge an den Ort der Durchführung, nach Judenburg in Marsch gesetzt. Übergabe von 42.258 Personen russischer Nationalität - 655 Deutsche - 16 Generäle1410 Offiziere - 2.972 Frauen -1445 Kinder - 7002 Pferde, 1911 Pferdewagen, 4115 Sättel, 3811 Pferdegeschirre. - 59 verbrecherische Elemente, Heimatverräter und Agenten der deutschen pionage aus dem Verkehr gezogen. - Besondere Vorkommnisse: Ein Vlasov - Mann sprang über eine Murbrücke. Tot. - Ein deutscher Oberleutnant unternahm Fluchtversuch. Tot. Einer schnitt sich die Pulsadern auf. Tot. - Einer erschoss sich. Keine weiteren Vorkommnisse. Weitere Tote.
Johanna: In der Nacht zum 29. Mai schlief niemand. Ein geplagter Mensch gleicht einem Baum, an dessen Wurzeln bösartiges Ungeziefer nagt. Am Morgen traten sie alle mit an. Ein älterer, mit Generalsabzeichen an der Uniform, trat vor die Front der Kosakenoffiziere und erklärte: „Auf Grund der zwischen der Regierung Seiner Königlichen Majestät und der Regierung der Union der Sozialistischen Sowjet-Republiken getroffenen Vereinbarung werden alle Kosaken , Offiziere und Soldaten und auch ihre Familien den sowjetischen Behörden übergeben.
Marlene: Bei Tagesanbruch in Lienz gingen die beiden orthodoxen Geistlichen auf den Platz vor die Baracken hinaus und es begannen die feierlichen Gebete um Erbarmen. Die angekündigten Lastwagen trafen nicht um vier, sondern um 6 ein.
Erna: Einstimmig weigerten sich alle in die Wagen zu steigen, als man sie dazu aufforderte. Ein Befehl, und Soldaten mit Pistolen und dicken Knüppeln bewaffnet drangen auf sie ein.. Die Kosaken-Offiziere schlossen sich zusammen, fassten einander an den Händen nach altem, aber nicht immer wirksamen Brauch.
Marlene: Die Soldaten begannen mit Knüppeln zu schlagen, zu schlagen auf die verschlungenen Hände und Köpfe. Sie zerrten den ersten heraus und warfen ihn in den Wagen. Er sprang wieder herunter. Man schlug ihn und trieb ihn ein zweites Mal hinauf. Wieder sprang er ab. Da warf ihn ein Kolbenhieb zu Boden. Sie schlugen auf ihn ein und traten ihn mit Stiefeln, bis er regungslos und starr da lag, in einer Blutlache. Man hob ihn hoch. Und schmiß ihn wie einen Sack auf den Boden des Fahrzeuges.
Lukas: Nun stiegen die anderen freiwillig ein. Einige Briten knirschten mit den Zähnen. Es war nicht schwer zu erraten, dass dieses Massaker ihre Abscheu erregte. Einer war da und hatte Tränen in den Augen.